Der Knall

 

Wer mag, dem lese ich die Kurzgeschichte vor:

👉👉👉Der Knall

 

Sie schrak hoch in völliger Ungewissheit. Im Schlafzimmer war es heiß, denn die Sommerwärme hatte das Dach schon ein paar Tage lang aufgeheizt. Ihre Schockstarre lockerte sich. War das ein Traum? Nur – was hatte sie geträumt?

Sie griff neben sich, zupfte an der Bettdecke: „Was war das?? Hast du das auch gehört?“

„Was?“, kam es verschlafen von der anderen Bettseite. „Gewitter“, versuchte er das Unbekannte zu deuten. „Schlaf weiter …“ und schon hörte sie sein wieder einsetzendes Schnarchen.

„Du hast es gar nicht gehört, oder?“, bohrte sie nach. Sie hatte noch nie solch einen Donner gehört, der wie eine Explosion klang. Sie war sich sicher, dass es kein gewöhnlicher Donner war, der Knall hallte noch in ihren Ohren wider.

„Was soll ich gehört haben?“, murrte er unwirsch. „Es war ein Donnern.“

„Du hast es gar nicht gehört, sag schon“, drängte sie. „Was war das?“

„Was denn?“, antwortete er genervt, nun endgültig wach. „Was ist los?“

„Da war ein ganz lauter Knall. Hast du den nicht gehört?“

„Ja, vielleicht war es ein lauter Donner …“

„Nein, das war kein Donner!“, entgegnete sie entschieden, als plötzlich ein Martinhorn ertönte. „Ich sag’s doch – das war was anderes.“

Beide saßen nun senkrecht im Bett und wären sie Hunde gewesen, hätte man an ihren Ohren jetzt sehen können, wie angestrengt sie lauschten. Aber es war still. Merkwürdig still. Die Durchgangsstraße, normalerweise voller nächtlichem Verkehr, lag ruhig und verlassen da.

Sie stand auf, er folgte ihr. Im Treppenhaus war die Jalousie auf dem Dachfenster herabgelassen. Mit der kleinen Fernbedienung vom Tischchen öffnete sie die Sichtsperre und ihr Blick fiel auf die Hauswand der Kegelbahn auf der anderen Straßenseite.

„Siehst du“, sagte sie, „Blaulicht. Und es fährt kein einziges Auto.“

„Es ist mitten in der Nacht“, versuchte er sie zu beruhigen. „Da fahren normalerweise nicht viele Autos.“

„Aber schon seit bald fünf Minuten kein einziges – da stimmt was nicht.“

„Komm, lass uns ins Bett gehen“, drängelte er, scheinbar unbeeindruckt von der Situation.

Er zog sich zurück in die Dunkelheit des Schlafzimmers, während sie weiter die hypnotisch im Blaulicht atmende Hauswand betrachtete. Aber wollte sie die ganze Nacht hier verbringen? 

 

Nein, noch länger wollte sie hier nicht stehen und auf Aufklärung warten. Also kroch sie wieder unter ihre Bettdecke, konnte aber nicht sofort einschlafen. Ein ganz normales Phänomen, wenn man etwas Ungewöhnliches gehört hat und nicht weiß, was es war. Vor allem das Martinhorn echote noch in ihrem Kopf … immer und immer wieder, obwohl es längst ausgestellt war. Anfangs dachte sie sogar, es komme Verstärkung hinzu. Sie hatte ein sehr gutes Gehör, nahm diesen schneidenden Ton oft aus vielen Kilometern Entfernung und durchs geschlossene Fenster wahr. Aber in dieser Nacht erlag sie jedes Mal, wenn sie glaubte, sie höre ein weiteres Fahrzeug herannahen, einer Täuschung ihres Gehirns. Es war wohl die Erwartung einer noch folgenden Auflösung des Rätsels. Irgendwann überkam sie jedoch die Müdigkeit und sie schlief ein.

Am nächsten Morgen hatten beide das merkwürdige Ereignis der Nacht vergessen.

Der frühe Morgen war schon ungewöhnlich warm und die sommerliche Luft verführte zum Verlassen des Hauses.

Flugs hatte sie ihre Morgentoilette hinter sich, zog sich schnell an, griff einen Stoffbeutel aus der Schublade, steckte Geldbörse und Schlüssel hinein und machte einen kleinen Spaziergang zum Bäcker, um Brötchen zu holen. Nach etwa zehn Minuten kam sie an und nahm gar nicht wahr, dass links vom Haus, in dem der Laden war, Absperrbänder den Gehweg versperrten. Einige Menschen standen diskutierend herum. Sie achtete nicht darauf, wollte schnell in den Laden, um die begehrten Brötchen fürs Frühstück zu bekommen. Als sie die Ladeninhaberin begrüßt hatte, fiel ihr plötzlich wieder ein, was sie letzte Nacht so beunruhigt hatte.

„Sagen Sie mal“, fragte sie die Frau hinter dem Tresen, „wissen Sie wohl, was letzte Nacht im Dorf los war? Ich dachte, ich hätte einen furchtbar lauten Knall gehört. Bei uns in der Nähe muss auch ein Polizeiwagen mit Blaulicht gestanden haben.“

Das Gesicht der Frau hellte sich auf, um sich im selben Moment in ein schmerzverzerrtes Antlitz zu verwandeln: „Na, hier war das. Hier bei uns. Vor der Tür. Haben Sie denn die Absperrung nicht gesehen? Die haben den Automaten schon abgeholt. Diese Irren haben den direkt neben unserem Schlafzimmer gesprengt!“

Sie zitterte vor Aufregung: „Das soll so eine Bande aus Holland gewesen sein, die hier viel schlechter gesicherte Automaten vorfinden und deswegen bei uns durch die gesamte Republik ziehen. Die Durchgangsstraße, auf der man schnell wieder wegkommt und noch dazu der frei stehende Automat sind für die doch das gefundene Fressen gewesen! Skrupelloses Pack! Die nehmen auf nichts und niemanden Rücksicht. Ich habe letzte Nacht, als alles vorbei war, einen irren Lachanfall bekommen und bin dann heute beim Frühstück plötzlich in einen Weinkrampf ausgebrochen. Die Nerven, wissen Sie … die Nerven!“

BababaBanküberfall! Die allgemeine Verunsicherung hatte ein Ende! Das Böse ist immer und überall!

Am selben Tag hörte man sogar im 4 Kilometer entfernten Städtchen immer wieder die Frage: „Sag mal, hast du letzte Nacht auch den Knall gehört?“

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