Everybody's Darling
Schreibst du, um etwas zu bekommen oder um etwas zu geben?
Es gibt kaum etwas Schöneres, als für seine Geschichten Anerkennung zu bekommen. Die Frage ist aber, ist einem die Anerkennung wichtiger als das Schreiben selbst? Oft sehnen wir uns so sehr nach Anerkennung, dass wir unsere eigene Persönlichkeit beim Schreiben nicht zum Zuge kommen lassen. Wir fürchten, wenn wir schreiben, wie es uns liegt, dafür nicht nur nicht anerkannt, sondern, noch viel schlimmer, abgelehnt zu werden.
Das bedeutet, wir verstellen uns, passen uns an, machen uns klein, verstecken uns - alles, um ja keine Ablehnung zu erfahren und die ganze Zeit glauben wir, wir machen das Richtige.
Ich hatte ein sehr einschneidendes Erlebnis mit meiner Lehrerin in der Grundschule. In meiner Erinnerung ist daraus eine Action-Szene in Zeitlupe geworden. Ich sehe mich selbst, wie ich zu Boden gehe, weil mich etwas hart getroffen hatte.
Es war Montagmorgen
und bevor der Unterricht begann, hatten die Mitschülerinnen die Gelegenheit, der
Lehrerin ihren Aufsatz der letzten Hausaufgabe vorzulegen.
Ich hatte den ganzen Sonntag damit verbracht, ein Weihnachtserlebnis aufzuschreiben. Das war nämlich die Aufgabe gewesen. Ich benutzte viele verschiedene Begriffe, wechselte die Satzanfänge.
Wenn ich in mein Wörterbuch sah, fühlte ich meinen Stolz darüber, eine gute
Rechtschreiberin zu sein und wenn ich nach unten aufs Papier schaute, biss ich
mir vor Anstrengung auf die Lippen, um meine Geschichte richtig gut werden zu
lassen - so gut wie die Geschichten in Kinderbüchern. Mir brummte schon der
Kopf. Ich wollte so sehr, dass es gut wird. Ach was, gut. Die Geschichte sollte
umwerfend werden. Mutti saß die ganze Zeit bei mir und gab mir Tipps für gut formulierte Sätze.
Meine Geschichte wurde gut - im konventionellen Sinn und ich war ziemlich begeistert.
Auf dem Foto ist jener Aufsatz von mir im Original zu sehen. Für eine schärfere Darstellung anklicken!
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Ich konnte es kaum erwarten, sie endlich der Lehrerin und meinen Mitschülerinnen zu präsentieren. Wie erhofft, hörte ich dann auch von den anderen ein mehrstimmiges Oh und Ah, als ich die Geschichte vorlas. Die Lehrerin, die auch sehr gut zugehört hatte, sagte lange Zeit gar nichts.
"Ist das nach den Regeln geschrieben, die deine Mutter dir gesagt hat?", fragte sie schließlich, in einem für meinen Geschmack viel zu wenig enthusiastischen Tonfall. Ich wusste nicht, ob ich geschmeichelt oder beleidigt sein sollte und spielte sicherheitshalber die Empörte, als ich verneinte. Und dann hob sie den Arm und holte aus - sie tat es nicht wirklich, sondern nur im Film meiner Erinnerung, die sich nachträglich ein paar Special Effects dazu erfunden hat. "Ulrike", sagte sie, "hör doch endlich auf, gefallen zu wollen." In diesem Moment traf mich ein Schlag mitten ins Gesicht und das, was sie soeben gesagt hatte, dröhnte mir in den Ohren.
"Hör doch endlich auf, gefallen zu wollen.
Äußerlich hatte ich mich nicht bewegt. Ich stand da und hielt mich mit den
Händen an der Tafel hinter mir fest, aber innerlich ging ich in die Knie. Ich
fühlte mich durchschaut, bloßgestellt und zutiefst beschämt. Ich selbst hatte
mich plötzlich durchschaut und was ich sah, gefiel mir nicht. Das war eigentlich schon alles. Mehr war nicht geschehen. Ich packte mein Heft in den Ranzen und der Unterricht ging weiter. Aber mit dem Satz "Hör doch endlich auf, gefallen zu wollen" flog ich aus meinem
Wolkenkuckucksheim. Selbstverständlich hatte ich mit meiner Geschichte
ausschließlich gefallen wollen. Bis dahin gab es für mein Schreiben überhaupt keine andere Motivation, aber mir
selbst war das nicht bewusst gewesen.
Auf die Idee, etwas freiwillig zu schreiben, das nicht jedem gefallen sollte, war ich noch nie gekommen, denn ich benutzte - nein, ich missbrauchte das Schreiben, um Anerkennung zu finden. Ich wollte gefallen. Mehr war da nicht.
Diese Erkenntnis tat weh.
Ich hatte ausschließlich geschrieben, um zu bekommen und nicht, um zu geben.
Aber genau darum geht es. Als Autor hat man etwas zu geben, was andere brauchen. Autoren bringen ihren Eindruck von der Welt zum Ausdruck, was wiederum die Welt anderer Menschen bereichert. Wir werden gebraucht. Du wirst gebraucht. Keine Stimme darf fehlen.
Das, was meine Lehrerin damals in mir erkannte, sehe ich heute bei vielen Schreiberinnen und Schreibern. Viele gehen beim Schreiben auf Nummer sicher. Sie lassen sich vom oft sehr engen Erfahrungshorizont der Menschen ihres persönlichen Umfeldes begrenzen und trauen sich nicht, diese Grenzen zu überschreiten. Das "Gefallenwollen" steht an erster Stelle, wenn sie etwas schreiben, weil sie glauben, das, was sie tatsächlich zu geben hätten, ist wertlos. Die Anerkennung, die man für diese Art von Schreiben erhält, hat immer einen faden Beigeschmack. Man spürt, dass man nicht selbst gemeint ist und nur für das "Bravsein" gelobt wird, für die Rolle, die man spielt.
Und die Menschen, die man beeindrucken will, und die vielleicht ein freundliches Lob aussprechen, sind auch gar nicht wirklich beeindruckt. Sie sind nicht tief berührt oder fühlen sich persönlich angesprochen. Das können sie auch nicht sein, denn es wurde ihnen nicht mehr als die leere Hülle einer perfekten Geschichte gegeben, nichts wirklich Persönliches und Wertvolles.
Man hat erst die Chance mit seinem schriftstellerischen Ausdruck zu beeindrucken, wenn es einem egal ist, ob und wen man beeindruckt. Denn nur ein unverfälschter Ausdruck, der keinen Anspruch hat gefallen zu wollen, kann tatsächlich beeindrucken.
Deshalb ist es so wichtig, beim Schreiben die eigenen Grenzen, die man sich nur allzu oft von anderen definieren lässt, zu überschreiten und das Risiko einzugehen, eben NICHT zu gefallen.
Unzufriedenheit mit sich selbst, mit der eigenen Arbeit, mit seinem angeblichen Nichtvorankommen, ist eigentlich nur ein Zeichen, dass man etwas von sich verlangt, das an sich wertlos ist, nämlich das Gefallenwollen.
Wenn man tatsächlich das Risiko eingeht, mit seinen Geschichten niemandem gefallen zu wollen, passiert etwas Unangenehmes:
Sie gefallen nicht allen.
Wenn man sich mit seinen Texten an die Öffentlichkeit traut - das erfordert Mut - wird es auch immer Menschen geben, die einem genau das sagen. Davon darf man sich aber nicht beeinflussen lassen. Man muss lernen, das auszuhalten und zu akzeptieren, dass man nicht ständig "everybody´s darling" sein kann. Das schriftstellerische Selbstbewusstsein darf nicht von irgendwelchen bedeutungslosen Meinungsäußerungen abhängig sein.
Jeder Autor, jede Autorin hat etwas zu geben, was andere dringend brauchen. Deshalb schreiben wir Texte. Und manchmal bekommen wir etwas dafür zurück.
Zu diesem Text animierte mich Martina Wald, eine Zeichenlehrerin. Sie schrieb einen ähnlichen Text - bezogen auf das Zeichnen. Dieser Text von mir ist schon sieben Jahre alt. Heute würde ich ihn SELBST ausdenken können. Ich möchte ihn dennoch in mein KUGEL-Blog übernehmen, denn er ist nach wie vor aktuell. Ich selbst habe ihn inhaltlich längst überholt, denn ich schreibe ausschließlich aus mir selbst.
Zu diesem Text werde ich, da er mir zu wenig originell-Ich ist, keine Lesung anbieten. Martina danke ich noch heute für ihre Erkenntnis, der nichts hinzuzufügen ist.
Du Liebe, ich erkenne mich so sehr in deinem Geschriebenen... ja, das ist ein weitverbreitetes Thema, Gefallen zu wollen und damit will ich mich im echten Leben auch nicht distanzieren. Ich sehe das Schreiben auch als eine Art von Seelengespräch mit mir selbst, erfahre mich durch das Schreiben selbst und bin da sehr ehrlich mit allem, was geschrieben wird. Wie du auch so schön sagst, es ist sonst nicht authentisch und das merkt man gleich beim Lesen. DANKE für deine Ehrlichkeit, dein Authentisch SEIN und auch den Mut, dich genauso zu zeigen, wie du bist. Du bist einzigartig und so sehe ich dich auch. Mit der Kunst ist es allerdings auch so, wir freuen uns, wenn wir ein Lob bekommen und uns dann auf die Schulter klopfen <3 Wir sind immerhin noch Menschen, die auch Lob verdienen. Das Schönste an allem ist, wenn wir selbst mit dem Geschriebenen zufrieden und glücklich sind. Ich teile auch gerne meine Lebenserfahrungen, damit andere sich inspiriert fühlen- genauso wie DU--- DU machst das echt wundervoll!
AntwortenLöschenGanz lieben Dank für den Ausführlichen Kommentar! Man liest sich ...;-)
LöschenEine Geschichte, die für mich heute zur rechten Zeit kam und die ich gebannt bis zur letzten Zeile verfolgt habe. Vielen Dank dafür!
AntwortenLöschenVielen Dank fürs Kommentieren! Man liest sich ... freue mich auf Deine Geschichten.
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