Wenn der Rhein ins Wohnzimmer schwimmt

Eine Geschichte aus fünf Schreibimpulsen

➡️ HÖRVERSION

 

GÖTZ ALS MANN


GLOCKENSPIEL

 

HOCHWASSER


HAUTKONTAKT


GAR KEINEN


Es regnete und regnete. Es regnete ohne Unterlass. Schon seit Tagen. Das Flusswasser stieg und stieg. Besonders in der vergangenen Nacht, als der Schüttregen sich wie aus Eimern vom Himmel stürzte.

GÖTZ rieb sich noch den Schlaf aus den Augen, als er barfuß in die Küche tapste, während seine zu langen Pyjamahosenbeine über den Fliesenboden schlurften. Schlurf schlurf … so kann man auch seinen Boden wischen.

Er ahnte noch nichts.

Er schlurfte Richtung Kaffeemaschine, die direkt neben dem Küchenfenster stand. Eine neue Melodie wanderte ihm im Kopf herum, seitdem er heute Morgen die Augen aufgeschlagen hatte. Das wird ein fetziger Hit, dachte er, als sein Blick durchs Küchenfenster fiel, wo der Regen auf den reißenden Rhein rauschte.

Der Rhein? Wo war der Rhein?

GÖTZ erlebte seinen Koffein-Kaboom bereits ohne Kaffee, denn … der Rhein war nicht mehr zu sehen. Stattdessen breiteten sich Kreuzschifffahrtsgefühle in ihm aus. Er selbst schien sich mitten auf einem reißenden Gewässer zu befinden. Nur der große Unterschied bestand darin, dass sein Schiff sich nicht bewegte, während der Strom wie von Zauberhand sein Bett vom Kuschelsofa zur ausladenden Wohnlandschaft verwandelt hatte und an dem Ausbau noch immer werkelte.

Plötzlich hörte GÖTZ einen lauten Knall, der ein noch lauteres Rauschen einläutete. Die Haustür war ins Haus gedrückt worden und in rasantem Tempo stürzten die HOCHWASSERfluten ins Innere seines Refugiums.

GÖTZ‘ Instinkt wusste sofort, was zu tun war. Ab nach oben!

So schnell wie bei diesem HOCHWASSER ist GÖTZ noch nie gerannt – nicht mal als er in seinen besten Jahren versucht hatte, dem Bus hinterherzujagen. Auf halber Höhe seiner Treppe in den ersten Stock drehte er sich noch einmal um zu seinem offenen Musiksalon, wo sein kostbarer Steinway sich in ein schwarzes hochglanzlackiertes Boot verwandelt hatte, das gleich kentern würde. Oje!

Die Melodie in seinem Kopf wurde drängender. Der vielversprechende Hit klebte in seinen Hirnwindungen und rauschte durch seine Synapsen. Nun konnte er ihn nicht einmal auf dem Flügel erproben. Aber die Textidee zum Refrain seines Liebeshits, die wollte er nicht verlieren:

Du bist die Strömung, ich bin der Rettungsring,

gemeinsam singen wir den Flussjazz-Swing.

Immer wieder sang er diese zwei Zeilen. HOCHWASSER wäre für diesen Hit noch ein Turbomotor. Die Gunst der Stunde winkte.

Doch oben winkte an ihrer offenen Wohnungstür die ängstliche Frau Zittermichel, eine Untermieterin von GÖTZ, der er ein wenig bei ihren täglichen Aufgaben unter die Arme griff. Sie begann zu schreien, als sie das Wasser die Treppenstufen langsam hochkriechen sah. Sie schlotterte am ganzen Körper, war kreidebleich und GÖTZ befürchtete, sie könne gleich in Ohnmacht fallen.

„Frau Zittermichel, bitte … ich bin ja da. Nun beruhigen Sie sich doch“, versuchte er, die alte Dame zu besänftigen. Als er auf ihrer Höhe war, hängte sie sich sofort an seinen Arm und ihre Angst übertrug sich auf seinen Körper.

Angst ist ein schlechter Berater, dachte GÖTZ. Dazu kam, dass er mit dieser säuerlich riechenden alten Frau GAR KEINEN HAUTKONTAKT mochte, also musste er sich etwas einfallen lassen.

„Frau Zittermichel, so lassen Sie mich doch bitte los“, bat er sie. „Ich möchte Ihnen ja helfen. Ich möchte Sie beruhigen, aber wenn Sie weiterhin so an mir herumzerren, bin ich ebenso wenig handlungsfähig wie Sie.“

GÖTZ handelte ALS MANN, betrat ihre Wohnung, schloss die Tür hinter sich und ging mit seiner Untermieterin in ihre Wohnküche. Dort fiel sein Blick gleich auf ihr GLOCKENSPIEL, das auf ihrem Buffet stand.

„Kommen Sie, Frau Zittermichel, setzen Sie sich doch in Ihren Lehnstuhl. Mein Klavier ist leider ertrunken, aber Ihr GLOCKENSPIEL tut’s auch. Hören Sie mal …“

Frau Zittermichel wurde ruhiger. Sie hörte zu, wie GÖTZ spielte … GÖTZlich!

Er erfand so wunderbare meditative Melodien, dass man beim Anblick von Frau Zittermichel hätte meinen können, sie heiße Frau Ruhpolding.

Und dann fing GÖTZ an, die Schlägel zum Tanzen zu bringen und dazu auch noch zu singen:

Bei großer Strömung bin ich der Rettungsring,

gemeinsam singen wir den Flussjazz-Swing …

Und nur kurze Zeit später, als alle Schäden wieder behoben waren, landete GÖTZ mit diesem Hit unter den oberen zehn Plätzen der Charts:

Sturm und Wellen, heiße Beben,

so will ich mit dir durchs Leben!

Wenn dein Herz wie Wasser tobt,

bin ich der Kapitän, der’s lobt.

Diese Liebe, wild und klar,

ist wie ein Fluss, so wunderbar!

Refrain:

Du bist die Strömung, ich bin der Rettungsring,

gemeinsam singen wir den Flussjazz-Swing …

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